02.10.2015

25 Jahre Deutsche Einheit

Landesbischöfin Ilse Junkermann zum Tag der Deutschen Einheit

Vor 25 Jahren, am 03. Oktober 1990, wurde aus DDR und BRD nach über 40 Jahren wieder ein Staat. Vieles hat sich seither verändert, alte und neue Bundesländer sind nicht nur wirtschaftlich enger zusammengerückt. Doch Unterschiede, gerade auch die Kirchen betreffend, bleiben. Ilse Junkermann kennt beide Seiten gut. Sie ist in Dörzbach an der Jagst geboren, war Pfarrerin in Horb am Neckar und Oberkirchenrätin in Stuttgart. Seit gut sechs Jahren ist Junkermann Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Achim Stadelmaier hat mit ihr anlässlich des Tags der Deutschen Einheit gesprochen. 

Frau Landesbischöfin, wir feiern in diesen Tagen 25 Jahre deutsche Einheit. Ist zusammengewachsen, was zusammengehört?

Ich denke, dass sehr viel zusammengewachsen ist. Allein dadurch, dass die Grenze nicht mehr existiert und die Menschen sich direkt und ohne Angst begegnen können. Es ist auch viel zusammengewachsen durch die gewaltige Solidarität des Westens. Das wird hier in den neuen Bundesländern hoch geschätzt. Und das Bewusstsein ist groß: So wie wir heute dastehen, wie unsere Städte dastehen, unsere Wirtschaft dasteht – das wäre ohne diese Solidarität nicht denkbar gewesen.

Sie sind ja seit einigen Jahren Bischöfin im Osten. Nicht mal jeder Fünfte ist auf dem Gebiet Ihrer Landeskirche Mitglied dieser Kirche. Die Kirche hat grundsätzlich einen schweren Stand in den neuen Bundesländern. Salopp gefragt: Wie groß ist denn der Spaßfaktor, Bischöfin im Osten zu sein?

Ganz salopp geantwortet: Sehr groß! Natürlich ist es schmerzlich, dass die Tradition des volkskirchlichen Glaubens abgebrochen und keiner mehr selbstverständlich Kirchenmitglied ist. Aber die, die in der Kirche sind, sind dafür umso überzeugter und engagierter und haben zum Teil eine lange Verbundenheit auch durch schwierige Zeiten hindurch. Und im Blick auf die vielen Menschen, die gar nicht mehr wissen, was der christliche Glaube ist, gibt es auch keine belastenden, schiefen Kirchenbilder oder schwierige Erfahrungen mit der Kirche. So kann man ganz neu die biblischen Geschichten spannend machen und den Menschen die Schätze der Kirche näher bringen.

Wie ist denn ganz allgemein die Situation der Christen im Osten?

Sie ist sehr gemischt. Auf der einen Seite ist immer noch eine große Trauer zu spüren, dass der Zustrom in die Kirchen zur Zeit der friedlichen Revolution sofort danach abgebrochen ist. Die Menschen haben sich auf ihre wirtschaftliche Lage konzentriert und  waren damit beschäftigt, sich auf das neue System einzustellen. Das wirkt in der Kirche sehr stark nach. Aber neben dieser Trauer ist auch eine zunehmende Aufbruchsstimmung zu spüren. Es ist deutlich, dass wir nicht weitermachen können, als wären wir noch eine Volkskirche wie vor Jahrhunderten, altem Glanz nachtrauern und darauf hoffen, dass Wunder geschehen. Wir müssen Gemeinde und Kirche neu erfinden, auf ein breiteres Fundament stellen. Mit dem Reformationsjubiläum haben wir vielleicht eine Möglichkeit, evangelisches Christ- und Kirchesein neu zu denken, vom Priesterdienst aller her. Allerdings ist es eine große Herausforderung, denn für keinen Menschen hier ist es mehr selbstverständlich, in der Kirche zu bleiben.

Morgen feiern wir 25 Jahre #DeutscheEinheit. „Wir Deutschen haben erfahren, dass nichts so bleiben muss, wie es ist. Ver...

Posted by Bundesregierung on Freitag, 2. Oktober 2015

Im Westen wird ja gerne mal mit leicht erhobenem Haupt in Richtung Osten geblickt. Was kann denn der Westen vom Osten lernen?

Ich habe neulich in einer Umfrage gelesen, dass 27 Prozent der Westdeutschen noch nie im Osten waren. Umgekehrt sind es nur 17 Prozent. Ich denke, die wechselseitige Aufmerksamkeit ist noch nicht ausgeprägt genug. Der Westen denkt, die da drüben müssen jetzt irgendwie unserem System hinterherkommen. Zu echtem Zusammenwachsen gehört, dass beide Seite aufeinander hören und ihre unterschiedlichen Erfahrungen respektieren. Was der Westen vom Osten lernen kann, ist ein großer Schuss Pragmatismus, weniger Verbissenheit, weil man während der Diktatur sehen musste, wie man mit den eingeschränkten Ressourcen zurechtkommt. Aber auch einen sehr starken Zusammenhalt in den Familien und Dörfern, ausgeprägter als ich es in den meisten Teilen Württembergs erlebt habe. Und auch die Offenheit ist sehr groß, weil die Menschen es unglaublich schätzen können, dass sie nun nicht mehr überall einen Spitzel vermuten müssen. Ich wünsche mir für die nächsten 25 Jahre, dass es ein Mehr an wechselseitigem Zusammenwachsen und Voneinanderlernen und Wertschätzen gibt.

Wissen Sie noch, wo und wie Sie den ersten Tag der Deutschen Einheit vor 25 Jahren erlebt haben?

Ja, ich war zuhause und hatte meinen neugeboren Sohn auf dem Arm, der gerade drei Wochen alt war. Und ich dachte, er wird jetzt ein Kind der Einheit, eine ganz neue Generation. Also, ich habe den Tag der Einheit sehr persönlich erlebt.

Berührt Sie die Einheit auch heute noch so persönlich?

Ja! Jedes Mal, wenn ich über die ehemalige innerdeutsche Grenze fahre, spüre ich ein leichtes Herz und eine große Freude. Darüber, dass es gelungen ist, zwei Blöcke, die hart und unerbittlich einander gegenüberstanden, durch die Kraft des Friedens aufzuweichen und dadurch Freiheit und Gerechtigkeit zu erringen. Ich denke, diese friedliche Revolution ist eine ganz wichtige Erfahrung für Deutschland, und ich wünsche mir für die vielen Konflikte weltweit, dass diese Erfahrung Schule macht.

Frau Landesbischöfin, vielen Dank für das Gespräch!

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