75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz - Landeskirche erinnert an Holocaust
Die Solisten Birte Markmann (Sopran, v.r.), Caroline große Darrelmann (Alt) und Johannes Hill (Bariton).Siegfried Denzel/elk-wue.de
Stuttgart. Mit einem Oratorienkonzert im Hospitalhof Stuttgart hat die Evangelische Landeskirche in Württemberg am Sonntagabend gemeinsam mit vielen Gästen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Anlass ist der Internationale Tag des Gedenkens an die Holocaust-Opfer. Die Befreiung der letzten Gefangenen des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau jährt sich am 27. Januar zum 75. Mal.
Ergriffenheit. Beklemmende Stille in dem von Hunderten Gästen gefüllten Paul-Lechler-Saal des Hospitalhofs: Gedenken an die mehr als sechs Millionen Juden, die dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer gefallen sind. Nach einem Oratorienkonzert mit drei Psalm-Vertonungen jüdischer Komponisten aus dem 19. und 20. Jahrhundert gab's keinen Applaus - stattdessen erhoben sich die Zuhörer schweigend von ihren Plätzen, um den Holocaust-Ermordeten die Ehre zu erweisen.
Die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten, sei eine Verpflichtung der heute Lebenden, hatte zuvor Professorin Barbara Traub, die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, gemahnt. „Erst wenn wir ihrer nicht mehr gedenken, sind sie endgültig gestorben.“
„Antisemitismus sogar im Parlament“
Gleichzeitig forderte sie ein noch engagierteres Eintreten der Gesellschaft gegen ein Wiedererstarken von nationalsozialistischem beziehungsweise antisemitischem Gedankengut. Dr. Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter der baden-württembergischen Landesregierung, wurde noch deutlicher: „Der Antisemitismus ist sogar in unser Parlament zurückgekehrt.“
Das Torhaus des KZ Auschwitz-Birkenau, aufgenommen kurz nach der Befreiung durch Einheiten der Roten Armee am 27. Januar 1945.Bundesarchiv, B 285 Bild-04413/Stanislaw Mucha/CC-BY-SA 3.0
Vernichtung ganz in der Nähe
Und Blume erinnerte daran, dass im Nationalsozialismus die Tötungsmaschinerie nicht nur in relativ fernen Orten wie Auschwitz lief - sondern auch ganz in der Nähe, in Vaihingen an der Enz beispielsweise. Doch auch in diesem von den Nationalsozialisten als Kranken- und Sterbelager betriebenen KZ hätten viele Gefangenen nicht nur ihre Würde, sondern auch ihren Glauben bewahrt. Der Antisemitismusbeauftragte berichtete von gemeinsamen Gottesdiensten, die jüdische, christliche und wahrscheinlich auch muslimische Gefangene dort gefeiert haben.
Die Lehre aus den damaligen Ereignissen sei auch heute noch gültig, betonte Blume: „Wir stehen gemeinsam als Menschen vor Gott.“
„Abwehrwall errichten“
Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July hatte in seinen Worten des Gedenkens zuvor die den Holocaust-Opfern gewidmeten „Stolpersteine“ in den Mittelpunkt gerückt: Allein in Stuttgart markieren rund 500 in Wege und Straßen eingelassene kleine Gedenksteine die einstigen Wohnadressen von Deportierten und Ermordeten. July nannte es eine „zweite Schande, dass heute und mitten unter uns Orte des Gedenkens geschändet und Gedenksteine ausgerissen werden“.
Gleichzeitig versprach der Landesbischof: „Wir als Kirchen wollen und werden weiterhin eine Grenze ziehen und einen Abwehrwall errichten“ gegen Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung.
Großprojekt aus Sindelfingen
„Eingebettet“ waren diese Worte des Gedenkens und der Mahnungen in ein gut eineinhalbstündiges musikalisches Großprojekt aus Sindelfingen: Unter Leitung von Bezirkskantor Daniel Tepper hatten die „Cappella Nuova Sindelfingen“, der Kinder- und Jugendchor Sindelfingen und die Sindelfinger Sinfoniker im vergangenen Jahr ein Oratorienprogramm erarbeitet, das am 9. November seine Uraufführung erlebte: Anlässlich des 81. Jahrestages der Reichspogromnacht mit Tausenden verwüsteter jüdischer Läden, Wohnungen und Gebetsstätten hatten sie Psalm-Vertonungen jüdischstämmiger Komponisten einstudiert.
Verstärkt durch die Solisten Birte Markmann (Sopran), Caroline große Darrelmann (Alt), Johannes Hill (Bariton) und Landeskirchenmusikdirektor Matthias Hanke (Orgel), ließen die Ensembles ihr Programm auch am Sonntag zu einem ergreifenden Konzert-Erlebnis werden. Gar „markerschütternd“ nannte es Antisemitismusbeauftragter Blume, nachdem die letzten Takte von Erich Zeisls „Requiem ebraico - the 92nd Psalm“ verklungen waren.
Der gebürtige Österreicher Zeisl hatte das Werk nach seiner Flucht 1945 im US-amerikanischen Exil geschrieben - unter dem Eindruck der Nachricht, dass sowohl sein Vater als auch mehrere weitere Familienangehörige in Konzentrationslagern umgebracht worden waren.
Außerdem erklangen von Felix Mendelssohn Bartholdy die sinfonische Vertonung von Psalm 42 „Wie der Hirsch schreit“ und von Leonard Bernstein die „Chichester Psalms“.
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