13.12.2024

„Am Ausgleich der Grundrechte festhalten“ – Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl zur geplanten Neuregelung des § 218 StGB

Stellungnahme von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl 

Am 5. Dezember 2024 wurde im Deutschen Bundestag in erster Lesung ein fraktionsübergreifender Gesetzesentwurf zur Neuregelung des § 218 StGB beraten. Dieser sieht vor, dass ein Schwangerschaftsabbruch künftig bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche rechtlich zulässig ist, sofern zuvor eine verpflichtende Beratung erfolgt ist. Die Kosten sollen von den Krankenkassen übernommen werden, und die bislang vorgeschriebene Wartezeit von drei Tagen entfällt. Dazu finden Sie im Folgenden eine Stellungnahme von Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl im Volltext:

Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl

Die mögliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs bewegt viele Menschen in der württembergischen Landeskirche. Auf ihrer Herbsttagung Ende November hat die Landessynode in Stuttgart eine aktuelle Stunde zu diesem Thema einberufen und darüber debattiert. Viele Menschen haben sich auch persönlich an mich gewandt. Aus unserem christlichen Selbstverständnis heraus sehen wir uns als Kirche in der Verantwortung, uns in diese wichtige ethische Debatte einzubringen.  

Daher gebe ich heute folgende Stellungnahme ab: 

„Mit der kontrovers geführten Bundestagsdebatte ist der seit Jahrzehnten bestehende gesellschaftliche Konflikt um den § 218 erneut ins Zentrum der öffentlichen Auseinandersetzung gerückt. Das Anliegen, Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen, zu entkriminalisieren, befürworte ich, bedaure jedoch die zugrunde liegende Eile des Gesetzgebungsverfahrens und den fehlenden Raum für eine gründliche gesellschaftliche Debatte. 

Kritik an der Vorgehensweise 

Die angestrebte Verabschiedung des Gesetzes noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 lässt kaum Zeit für die sorgfältige Abwägung, die ein solches Thema erfordert. Entscheidungen dieser Tragweite, die sowohl den Schutz des ungeborenen Lebens als auch die Würde und Rechte der Frauen berühren, sollten gründlich vorbereitet, umfassend debattiert und nach ethischen Maßstäben getroffen werden. Insbesondere bei sensiblen Fragen dieser Art ist es unerlässlich, eine breite gesellschaftliche Diskussion zu führen, um den Ausgleich zwischen den widerstreitenden Grundrechten verantwortungsvoll zu gestalten. 

Das ethische Dilemma: Lebensrecht und Selbstbestimmung 

Der Schwangerschaftsabbruch steht im Spannungsfeld zweier fundamentaler Grundrechte: dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes und dem Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit der Frau. Dieses Dilemma erfordert besondere Sorgfalt und ein hohes Maß an Sensibilität. Die Heftigkeit, mit der bei der Bundestagsdebatte Positionen aufeinandertrafen, zeigt die Notwendigkeit, Lebensrecht und Selbstbestimmung nicht gegeneinander auszuspielen, sondern sie in einen verantwortungsvollen Ausgleich zu bringen.

Positive Ansätze und kritische Punkte des Gesetzesentwurfs 

Der Gesetzentwurf will die Entkriminalisierung von Frauen durch die Herausnahme des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafrecht vornehmen. Das ist nachvollziehbar. Ich begrüße die Beibehaltung der Beratungspflicht und die Zwölf-Wochen-Frist. Dennoch sehe ich beim vorliegenden Gesetzesentwurf erheblichen Änderungsbedarf: 

  • Schutz des ungeborenen Lebens: Die geplante Regelung stellt den Schutz des ungeborenen Lebens in den ersten zwölf Wochen fundamental infrage. 

  • Kostenübernahme durch Krankenkassen: Diese Maßnahme könnte die ethische Tragweite des Schwangerschaftsabbruchs relativieren und ein falsches Signal senden. 

  • Streichung der Wartefrist: Der Wegfall der Wartezeit zwischen Beratung und Abbruch ist unverantwortlich. Die Wartezeit ist ein wichtiger Bestandteil des Gewissensschutzes der Schwangeren und sollte durch eine optimierte Beratungspraxis gestützt werden, statt sie aufzugeben. 

Bedarf an einer umfassenderen Neuregelung 

Eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs bietet die Gelegenheit, bestehende Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Besonders problematisch ist, dass aktuell keine Beratungspflicht bei medizinischen Indikationen vorgesehen ist, die beispielsweise durch pränatale Diagnostik entstehen. Dies führt dazu, dass potenziell behindertes Leben weniger geschützt wird als potenziell nicht behindertes Leben – ein Widerspruch zu unserem christlichen Verständnis der Gottebenbildlichkeit aller Menschen. Jede zukünftige Gesetzesänderung sollte diesen Aspekt berücksichtigen und entsprechend ausgewogen gestalten. 

Appell an den Gesetzgeber 

Ich bitte die Abgeordneten des Deutschen Bundestages eindringlich, die Tragweite ihrer Entscheidung zu bedenken. Eine überstürzte Verabschiedung des Gesetzes wird die gesellschaftliche Spaltung vertiefen. Stattdessen sollte der Gesetzgeber eine gründlich geführte Debatte fördern, die einen verantwortungsvollen und gerechten Ausgleich zwischen dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes und der Selbstbestimmung der Frau ermöglicht.“ 

Ernst-Wilhelm Gohl

Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg

Hinweis für Kirchengemeinden

Kirchengemeinden sind herzlich eingeladen, Texte wie diesen von www.elk-wue.de in ihren eigenen Publikationen zu verwenden, zum Beispiel in Gemeindebriefen. Sollten Sie dabei auch die zugehörigen Bilder nutzen wollen, bitten wir Sie, per Mail an kontaktdontospamme@gowaway.elk-wue.de nachzufragen, ob die Nutzungsrechte für den jeweiligen Zweck vorliegen. Gerne können Sie alle Bilder nutzen, die Sie im Pressebereich unserer Webseite finden. Sie möchten in Ihrem Schaukasten auf unsere Webseite verlinken? Hier erfahren Sie, wie Sie dafür einen QR-Code erstellen können. 

Schon gewusst?

Was es mit der Kirchensteuer auf sich hat, wie sie bemessen wird und welche positiven Effekte die Kirchen mit der Kirchensteuer an vielen Stellen des gesellschaftlichen Lebens erzielen, erfahren Sie auf www.kirchensteuer-wirkt.de.

Weitere Meldungen, die Sie interessieren könnten

"Wandel säen" - 66. Aktion Brot für die Welt

Unter dem Motto “Wandel säen” ruft Brot für die Welt in der 66. Aktion ab dem 1. Advent 2024 zu Spenden auf. Hier finden Sie den Aufruf von Brot für die Welt im Wortlaut.

Weiterlesen

Herbsttagung der Württembergischen evangelischen Landessynode im Hospitalhof.
Kirchenrätin Dr. Christine Keim, Leiterin des Referats für Mission, Ökumene und Entwicklung

Situation verfolgter Menschen weltweit

In vielen Ländern der Welt werden Christinnen und Christen verfolgt. Oberkirchenrätin Dr. Christine Keim gab auf der Herbstsynode der Landeskirche einen Überblick über die Lage in der Demokratischen Republik Kongo, dem Sudan/Südsudan, Myanmar und dem Libanon.

Weiterlesen

Diskussion über Gesetzentwurf zu § 218

In der nächsten Woche soll im Bundestag der „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ eingebracht und vor Ende der Legislaturperiode beschlossen werden. Für welche Aspekte müsste die Kirche ihre Stimme erheben? Darüber hat die Landessynode diskutiert.

Weiterlesen

Zum Volkstrauertag: "Nach Gottes Willen soll Krieg nicht sein"

Am Sonntag, 17. November 2024, ist Volkstrauertag. Ursprünglich initiiert als Gedenktag für die gefallenen deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges, erinnert er heute an die Opfer von Krieg und Gewalt in aller Welt. Für den württembergischen Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl ist der Gedenktag so aktuell wie eh und je.

Weiterlesen

Konfis backen für Brot für die Welt

83 Brote haben die Konfirmandinnen und Konfirmanden der Evangelischen Kirchengemeinde in Aichwald zusammen mit Oberkirchenrätin Dr. Annette Noller in Aichwald bei der Aktion „5.000 Brote - Konfis backen Brot für die Welt“ in Württemberg gebacken und gegen Spenden abgegeben.

Weiterlesen

Video: Landesbischof Gohl beim Friedensgebet in Eltingen

In Leonberg-Eltingen findet seit über 30 Jahren jede Woche ein Friedensgebet statt. Hier erzählen Ehrenamtliche, warum ihnen das wichtig ist und wie es dazu kam. Landesbischof Gohl hat das Friedensgebet besucht und erklärt, was ihm das Beten für den Frieden bedeutet.

Weiterlesen

Farbschwäche:

Benutzen Sie die Schieberegler oder die Checkboxen um Farbeinstellungen zu regulieren

Einstellungen für Farbschwäche

Schrift:

Hier können die Schriftgröße und der Zeilenabstand eingestellt werden

Einstellungen für Schrift

Schriftgröße
D
1
U

Zeilenabstand
Q
1
W

Tastenkombinationen:

Mit den aufgeführten Tastenkombinationen können Seitenbereiche direkt angesprungen werden. Verwenden Sie auch die Tabulator-Taste oder die Pfeiltasten um in der Seite zu navigieren.

Inhalt Tastenkombinationen

Hauptnavigation: M
Toolbar Menü: T
Inhalt: C
Footer: F
Barrierefreiheit: A
Hauptnavigation: M
Toolbar Menü: T
Inhalt: C
Footer: F
Schriftgröße +: U
Schriftgröße -: D
Zeilenabstand +: W
Zeilenabstand -: Q
Nachtmodus : Alt () + J
Ohne Bilder: Alt () + K
Fokus: Alt () + G
Tasten­kombinationen: Alt () + O
Tastensteuerung aktivieren: Alt () + V
Alles zurücksetzen: Alt () + Y