Stuttgart. „Digitalisierung und kirchliche Bildung“: Das ist der Schwerpunkt beim fünften Digitalisierungsforum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, das am Montag im Hospitalhof in Stuttgart stattgefunden hat. Rund 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich angemeldet.
Stefan Werner, Direktor im Oberkirchenrat, betonte während der Begrüßung die zeitweilige Unsicherheit der Organisatoren, ob das Digitalisierungsforum in Zeiten des Coronavirus überhaupt stattfinden kann. Zwar hatten einige Angemeldete aus Furcht vor einer möglichen Ansteckung abgesagt.
Doch laut Werner halten die Veranstalter das Risiko für vertretbar, zumal zahlreiche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden sind. So wurden die Teilnehmer gebeten, auf das freundliche Händeschütteln zur Begrüßung zu verzichten. Außerdem war eine „Wasch-Bar“ zur Hände-Desinfektion aufgebaut.
In ihrem geistlichen Impuls zum Auftakt des Forums betonte Referatsleiterin Carmen Rivuzumwami, im Oberkirchenrat zuständig für Schule und Bildung, die Bedeutung der Digitalisierung: „Die Kirche muss um Gottes willen im Internet vertreten sein."
Eine Frage sei, wieviel man von sich preisgebe, um vernetzt zu sein. Das digitale Netzwerk biete nahezu grenzenlose Möglichkeiten, aber eben auch eine Reihe von Fallstricken und Abgründen, sagte Rivuzumwami - und zeichnete die Vision einen "Friedensnetzes" ohne Fake-News und Hass.
Hype und Kritik – bei der Digitalisierung gehen sie manchmal Hand in Hand, betonte Dr. Peter Schreiner vom Comenius-Institut in Münster in seinem Keynote-Beitrag. Längst habe sich die Digitalisierung zum Teil „beherrschend in den Alltag eingeschrieben“. Bedeutend sei es, Wege zu finden, wie der Computer sinnvoll in soziale Kommunikation eingebunden werden könne.
„Die positiven Werte der Digitalisierung dürfen nicht durch eine Reihe von Werteeinbußen wieder aufgefressen werden", machte Schreiner in seinen Keynote-Thesen vor rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörern deutlich. Die Effizienz des Internets dürfe nicht zu Respektlosigkeit und Würdelosigkeit im Umgang miteinander führen. Als Negativbeispiele nannte er unter anderem Diffamierungen und Falschinformationen.
Für Bildung in einer „mediatisierten“ Welt brauche es neben den besonderen Fertigkeiten beispielsweise einen reflektierten Mediengebrauch, die kritische Auseinandersetzung mit Chancen und Problemen sowie die Vermittlung von rechtlichen Vorgaben und Verhaltensregeln, so Schreiner. Notwendig seien Überlegungen zu einer digitalen Ethik und einem digitalen Humanismus, die zumindest die Richtung für weitere Überlegungen benennen.
In Zeiten künstlicher Intelligenz werde es zudem wichtiger, Dinge zu können, die der Computer nicht könne, etwa Kreativität und die Fähigkeit, komplexe Lösungen zu finden, auch abseits des Mainstreams.
Die weiteren Schritte bei der Umsetzung der „Digital Roadmap“ in der evangelischen Landeskirche schilderte Stefan Werner – und zwar schwerpunktmäßig anhand einiger Meilensteine. Zugleich machte er deutlich: „Grundsätzlich laufen viele Projekte parallel, und die Zeit hier würde nicht reichen, um alles vorzustellen.“
Beim ganzheitliches Kommunikationskonzept sei die Neuordnung des Evangelischen Medienhauses weiter vorangegangen. Zur Optimierung der Zusammenarbeit gebe es inzwischen Pilotprojekte. Auch in anderen Bereichen, etwa beim Gemeindemanagement, in der Pflege und der Behindertenarbeit, gehe es voran.
An der Entwicklung eines Leitbildes für die Digitalisierung werde ebenfalls weitergearbeitet. „Das ist einer der herausfordernsten Meilensteine“, sagte Werner. Bei der Gelegenheit stellte er das Instrument des „Ethic Design Sprints“ vor, mit dem hier Prototypen entwickelt werden sollen.
In 16 Teilforen haben die Anwesenden die Möglichkeit, Themen vertieft zu behandeln und zu diskutieren. Beispielsweise galt ein Teilforum der „Kon-App“, die Jugendliche durch die Konfirmandenzeit begleiten soll. Entwickelt wurde die App von der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart. Die Initiative zur Entwicklung kam aus dem Pädagogisch-Theologischen Zentrum der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.
„Ihr Handy haben die Konfirmanden immer dabei“, sagt Steffi Stich im Workshop zur „KonApp“. Das Tool soll Gemeinden den Austausch mit und in Konfirmandengruppen leichter machen. „Sie ist so konzipiert, dass es keine Konflikte mit dem Datenschutz gibt“, erklärt Maximilian Naujoks.
Neben einer Plattform für den Austausch gebe es unter anderem Bibelübersetzungen; auch seien Texte zum Auswendiglernen hinterlegt.
Noch stecke das Angebot in den Kinderschuhen. Naujoks spricht von einem „minimal viable Produkt“, einem gerade erst lebensfähigen Produkt. Mit den Rückmeldungen, die jetzt nach und nach hereinkommen, werde die App weiter verfeinert.
Ziel sei, dass bis Sommer noch einige Schwächen behoben sind und das Angebot breiter bekannt gemacht werden kann. Zuhörer des Teilforums regten unter anderem an, weiter zu denken und mit der App später auch eine Brücke zur Jugendarbeit zu bauen.
„Schon allein das Spiel zwischen Licht und Dunkelheit schafft eine spirituelle Atmosphäre. Es gibt ja einen Grund, warum Kirchen so oft mit Kerzen arbeiten." Thomas Ebinger, Pfarrer in Kemnat, hat während einer Fortbildung selbst gelernt, wie Lightpainting geht - und war sofort begeistert.
Lightpainting - das Licht-Malen mit Langzeitbelichtung - brachte er auch am Montag im Teilforum während des fünften Digitalisierungsforums den Interessierten näher: Jeder und jede bekam ein bunt leuchtendes Lämpchen, mit dem kontinuierlich Buchstaben in die Luft geschrieben wurden. Durch eine einfache Einstellung in der Belichtungssteuerung der Kamera und ein bisschen Bildbearbeitung war auch schon - zur Begeisterung von allen Beteiligten - ganz passend das Wort „Ostern“ in Licht geschrieben. Als Lichtquelle können zum Beispiel auch Wunderkerzen genommen werden.
Pfarrer Ebinger hat mit seinen Konfirmanden schon ganz viel mit Licht gemalt: „Jugendliche sind sowieso total an Bildern interessiert. Durch das Lightpainting kommt dann noch so eine technische Komponente dazu, die sie einfach cool finden. Die Ergebnisse werten alles auf."
„Lernen mit Medien muss mit Lernen über Medien eng verzahnt sein.“ Das betonte Religionslehrerin Friederike Wenisch. Ihre Idee war es, gemeinsam mit ihren Siebtklässlern verschiedene Gotteshäuser und deren Besonderheiten virtuell darzustellen. Erprobt hat sie das Konzept zuerst im Norden: Das Projekt „Lebendige Steine“ der Nordkirche lädt Schulen, Gemeinden und Konfi-Gruppen dazu ein, ihre Kirche ebenfalls zum VR-Erlebnis zu machen.
In einem Teilforum des Digitalisierungsforums stellte Friederike Wenisch VR-Brillen vor und gab Einblicke in die pädagogische Arbeit mit Virtual Reality. Diese bedeute für sie eine „Verlangsamung der Wahrnehmung von Gotteshäusern“.
Außerdem sei es dadurch möglich, ins Gespräch zu kommen mit anderen Gläubigen oder gar einen interreligiösen Dialog zu starten: „Wie sehen andere Gotteshäuser aus? Wo finde ich Gott dort? Wie wird er dargestellt?“
Auch sei es wichtig, nicht nur mit den modernen Medien zu lehren, sondern auch über sie: „Wenn die Schüler dann mit einer 360-Grad-Kamera Häuser und Straßen und Kirchen, Moscheen oder Synagogen filmen, dann kommt oft von selbst die Frage nach dem Persönlichkeitsrecht und wem man mit einer Aufnahme schaden könnte.“
Auch das Thema Sucht und das Sich-Verlieren in der virtuellen Welt wird in ihrem Projekt angesprochen. Ebenso die körperlichen Auswirkungen einer VR Erfahrung: „Manchen wird da ganz schön schlecht." Es sei besser, wenn dies in einem geschützten Rahmen wie dem Unterricht geschehe - und nicht, „wenn die Jugendlichen im Spiel mit Freunden das nicht zugeben wollen, um cool zu bleiben“.
Nicht nur Kinder sind ein dankbares „Trickfilm-Publikum“. Wenn man Playmobilfiguren „lebendig“ machen darf, seien auch Erwachsenen gleich dabei, sagte Susanne Zeltwanger-Canz, die im Evangelischen Medienhaus für Medien und Pädagogik zuständig ist und deshalb aus Erfahrung sprechen kann.
Der Trickfilm sei eine kreative Methode, Themen wie zum Beispiel Bibelgeschichten umzusetzen: „Die Methode motiviert die Kinder und Jugendlichen, es macht einfach Spaß, und es gibt am Ende ein Produkt. Sie lernen indem sie sich ja auch schon bei der Vorbereitung mit den Inhalten auseinander setzen."
Im Teilforum wurde außerdem deutlich, wie einfach es sein kann, einen Trickfilm selbst herzustellen. Alles, was man braucht, ist ein Smartphone und eine Stop-Motion-App: „Egal, ob Playmobil oder Legebilder oder Essen, man muss es nur bewegen, ein Foto machen, bewegen, ein Foto machen... und schon hat man einen Trickfilm. Das begeistert Jung und Alt", betont Susanne Zeltwanger-Canz.
Nicht alles, was im Netz ärgerlich ist, ist gleich Fake-News. Das betont Saskia Nakari, pädagogische Referentin am Stadtmedienzentrum Stuttgart.
Nicht dazu gehörten etwa Satire, schlechter Journalismus, Clickbaiting oder die klassische „Zeitungsente“. Es gehe vielmehr um Desinformation, Fehlinterpretationen, manipulierte Inhalte und frei erfundene Inhalte, die nicht selten gezielt gestreut würden.
Jugendlichen und Erwachsenen rät Nakari dazu, wachsam zu bleiben. Ein hilfreiches Tool, um Fake-News aufzuspüren, sei die Bilder-Rückwärtssuche von Google. Zudem gebe es verschiedene Plattformen, die sich neben anderem auch der Enttarnung von Fake-News widmen. Dazu zählten beispielsweise Mimikama, Hoaxmap, Tagesschau und das Correctiv.
Die Möglichkeiten des Internets sind vielseitig. Ein paar nützliche Tools stellte Sharon Kazaz in einem Teilforum vor. Dazu gehörten Umfragetool „Mentimeter“, die Informations-Plattform „LearningApps“, das digitale Pinnbrett „Padlet“ und das Brainstorming-Tool „Tricider“.
Die Aufforderung zu Beginn der Keynote von Dirk von Gehlen war herausfordernd: „Die Verwirrung, die sie jetzt vielleicht fühlen, sollten Sie noch versuchen zu stimulieren.“ Überforderung sei der Standardmodus unserer Zeit, sagte der Autor und Journalist der Süddeutschen Zeitung. Ziel sei, die Überforderung zu bewältigen.
Sein Tipp für Menschen, die sich mit Digitalisierung und Bildung befassen: Öfter mal mit den Schultern zucken und gelassen bleiben. „Bildung ist die Fähigkeit, Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten“, machte er deutlich. Ratsam sei: erst zu verstehen, dann zu bewerten; sich verstören zu lassen; Fehler zu machen; strategisch zu scheitern; „kulturpragmatisch zu werden“.
Menschen würden gern alles das als normal betrachten, was bereits existierte, als sie geboren wurden. Was bis zum jeweiligen Erreichen des 30. Lebensjahrs erfunden worden sei, gelte als „Chance und Job-Option“. Aber vieles, was danach erfunden wird, werde häufig als Angriff auf die natürliche Ordnung der Dinge betrachtet. „Um auf neue Ideen zu kommen, sollte man seinen eigenen Wahrheiten mit einem Schulterzucken begegnen.“
Was rät von Gehlen? Fünf Tipps hat er im Gepäck: „Werde ratloser! - Übe das Vuja-De, die neue Idee im bekannten Umfeld. - Lass das Gegenteil zu. - Lass Dich von Hoffnung leiten. - Tue etwas, das Du hasst.“
Dr. Peter Schreiner (@PeterComenius) ist seit 2015 Direktor des Comenius-Instituts (Evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft e.V., Münster) und wirkt mit an Projekten und Publikationen in den Bereichen Bildungsforschung, Europäisierung von Bildung, vergleichende Religionspädagogik, interkulturelles und interreligiöses Lernen.
Mit Digitalisierung und Bildung beschäftigt er sich u.a. durch „rpi-virtuell“, der religionspädagogischen Internetplattform am Comenius-Institut und dem thematischen Schwerpunkt am Institut „Digitalisierung und Bildung“.
Dirk von Gehlen(@dvg) ist Autor, Journalist und Vortragsredner. Bei der Süddeutschen Zeitung leitet er die Abteilung Social Media/Innovation, in der er unter anderem das Longreads-Magazin „Süddeutsche Zeitung Langstrecke“ entwickelt hat.
Der Diplom-Journalist plädiert für einen kulturpragmatischen Umgang mit dem Neuen („Das Pragmatismus-Prinzip“). Er zählt zu den Crowdfunding-Pionieren in Deutschland („Eine neue Version ist verfügbar“) und befasst sich seit Jahren mit den gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung.
Stefan Werner ist Jurist und Direktor im Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er ist juristischer Stellvertreter des Landesbischofs und Leiter des Dezernats für Grundsatzangelegenheiten und Digitalisierung, die Interne Verwaltung des Oberkirchenrats, das landeskirchliche Archiv sowie die landeskirchliche Bibliothek.
Er leitet die Projektgruppe Digitalisierung.
Joachim Stängle moderiert das 5. Forum Digitalisierung am 2. März 2020 im Stuttgarter Hospitalhof.
Er ist selbstständig als Unternehmensberater, berät und begleitet Unternehmen zu Themen der Digital-Strategie und koordiniert die Projektgruppe Digitalisierung der Württembergischen Landeskirche.
VR Brillen und mehr (Friederike Wenisch)
Der Einsatz von „Lightpainting“ in der Bildung (Thomas Ebinger)
E-Learning: Kompetenzzentrum digitales Lernen in der Württembergischen Landeskirche (Prof. Norbert Collmar)
Bible-Project – Einsatz der Materialien in der Bildungsarbeit (Philipp Kruse)
Schulentwicklung statt „Tablet-Klasse“. Unser Ansatz am Firstwald-Gymnasium (Matthias Förtsch)
Digitale Tools als kollaborative Werkzeuge (Sharon Kazaz)
Digitale Medienbeschaffung leicht gemacht – das Angebot des Ökumenischen Medienladens für Kirche und Unterricht. (Dr. Peter Pförsich)
Der Einsatz der KonApp in der Gemeinde (Maximilian Naujoks)
Mobbing, Hatespeech in sozialen Medien und Schulen (Matthias Rumm)
DVD complett – Bildungsfilme für den Ethik- und Religionsunterricht (Hanna Stobbe)
Der selbstgemachte Trickfilm als kreative Methode für unterschiedliche Themen (Susanne Zeltwanger-Canz)
Umgang mit Fake-News (Saskia Nakari)
Neue Wege zur digitalen Teamarbeit (Nadja Graeser und Katina Tietke)
So haben wir's gemacht - Erfahrungen aus Digitalisierungsprozessen (Dietmar Lipkow)
Digitalisierung in der Kita-Arbeit. Personal, Elternarbeit, Kinder - was braucht es? (Nicole Hornung)
Lernen im vertrauten Umwelt - die eBuddy-Methode des Ev. Schulwerks (Heidi Sivasuntharam)
Sie können die öffentliche Veranstaltung auf unserem Livestream auf www.elk-wue.de/vernetzt mitverfolgen.
Das Hashtag zur Veranstaltung lautet „#elkwuedigital“.
Die Teilnahme am „Forum - Digitalisierung in der Landeskirche“ ist kostenlos inkl. Getränke und Pausenverpflegung. Fahrtkosten können nicht übernommen werden.
Tagungsort: Hospitalhof Stuttgart, Büchsenstraße 33, 70174 Stuttgart
Wir empfehlen die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da Parkplätze nicht zur Verfügung stehen.