| Medien & Kultur

„Spielend entdecken, wer Gott ist“

Digitale Welten beeinflussen das Religionsverständnis

Am Dienstag, 21. August, beginnt die größte Spielemesse Deutschlands: die Gamescom in Köln. Dort werden die neuesten Spiele und Neuerungen der Gamingbranche vorgestellt. Mehr als 30 Millionen Deutsche spielen regelmäßig Computer- und Konsolen-Games. Welche Chancen dieser wachsende Markt für die Kirche bietet, hat sich Marie Neumann vom Leiter der Missionarischen Dienste, Pfarrer Tobias Schneider, und Pfarrer Dr. Thomas Ebinger, der im Pädagogisch-Theologischen Zentrum (ptz) der württembergischen Landeskirche für Konfirmandenarbeit zuständig ist, erklären lassen. Gemeinsam haben sie sich die Spieleabteilung einer Saturn-Filiale angesehen.

Pixel-Luther im Zentrum des GewittersTobias Schneider

Martin Luther springt auf einen Baum und pflückt einen Apfel. Dann hüpft er auf eine feindselige Ratte. Nach einem langen Marsch voller Abenteuer landet Luther schließlich in Wittenberg. Dort trifft er Johann Tetzel. Voller Elan wirft er sein Tintenfass gegen den Ablasshändler, doch dann wird der Reformator von einem Schwall Münzen getroffen und steigt als Engel in den Himmel.

Was klingt wie eine wirre und inkorrekte Nacherzählung von Luthers Leben, ist in Wahrheit ein Computerspiel. „Pixel Luther“, ein Spiel, in dem ein kleiner, animierter Martin Luther Rätsel lösen und Schurken wie Tetzel bekämpfen muss, um schließlich in Wittenberg seine Thesen anschlagen zu können. Das Spiel haben Tobias Schneider und seine ehemalige Religionsklasse entwickelt.

Pfarrer Tobias SchneiderEMH/privat

„Wir müssen Computerspiele aus der Ecke der Nerds herausholen, in die sie immer noch gedrängt werden“, findet Schneider. Computerspiele seien ein Medium, das richtig genutzt sehr effizient sein könne, um Jugendliche für kirchliche Inhalte zu begeistern. „Hätte ich meine Siebtklässler etwas über Luther lesen und dann einen Test schreiben lassen, ich garantiere Ihnen, die hätten jetzt schon über die Hälfte vergessen“, sagt Schneider. Als sie das Spiel entwickelten, mussten sich die Schüler sehr genau mit Luthers Leben beschäftigen: Wie lassen sich seine Erfahrungen in eine spielbare Geschichte umsetzen? Was stellte zur Zeit Luthers eine Bedrohung dar? Welche historischen Figuren eignen sich als Gegner? „Die Schüler hatten zum Beispiel die Idee, dass Luther zu Anfang des Spiels durch eine Miene laufen muss, weil sein Vater Bergarbeiter war. Ich finde das zeigt deutlich, wie detailliert sie sich mit ihm auseinandergesetzt haben“, erklärt Schneider.

Videospiele werden immer beliebter. 2011 besuchten rund 21.400 Menschen die Gamescom. 2017 zählte die Messe rund 30.700 Besucher. In diesem Jahr werden noch mehr erwartet. Auch in der Spieleabteilung eines Saturn-Marktes in Stuttgart ist viel los. „Videospiele sind nicht nur ein Zeitvertreib für Kinder und Jugendliche“, sagt Schneider und zieht das Spiel „Assassins Creed Unity“ aus dem Regal. „Allein für die Entwicklung der Notre-Dame in diesem Spiel haben die Programmierer über 5000 Stunden gebraucht. Dabei spielt die Kirche darin gar keine tragende Rolle.“ Er deutet auf die aktuellen Spiele-Charts, die über der Auslage hängen. Dort finden sich keine sogenannten Lernspiele. Stattdessen müssen Gegner bekämpft, Welten bereist und Lager und Städte gebaut werden.

Trailer Assassin's Creed Unity

Durch die Wiedergabe dieses Videos speichert YouTube möglicherweise persönliche Daten wie Ihre IP-Adresse.

„Es ist ein Irrweg, dass man Spielen und Lernen meist strikt trennt“, findet Thomas Ebinger. „Gerade Dinge, die ich im Spiel lerne, setzen sich eher fest, weil ich die Information mit einer Geschichte verbinde.“ Diese Erkenntnis und sein 14-jähriger Sohn brachten ihn auf die Idee, ein beliebtes Computerspiel in den Konfirmandenunterricht einzubinden. „Minecraft“- ein so genanntes Open World-Spiel, in dem die Spieler eigene Welten, Gebäude und Gesellschaften erschaffen können.

Pfarrer Thomas Ebingerprivat

Open World, weil das Spiel keinem linearen Verlauf folgt, sondern die Spieler selbst entscheiden können, was dort passieren soll. Es gibt kein vorprogrammiertes Ziel, das erreicht werden muss. Ebinger nutzte die kostenfreie Version „MineTest“. Dort konnte er für seine Konfirmandengruppe selbst eine Welt mit bestimmten Vorgaben programmieren. Ziel war es, die zehn Gebote darzustellen. Eine Version, in der die Menschen die Gebote einhalten, und eine, in der sie es nicht tun. Eine Mauer trennte beide Welten. „Die Konfirmanden haben die Aufgabe sehr ernst genommen und toll umgesetzt. Beim 10. Gebot zum Beispiel hatten wir auf der einen Seite der Mauer zwei friedliche Nachbarn. Auf der anderen hat der eine das Haus des anderen niedergebrannt. Bei allem Lernerfolg, den die Spiele bieten, lässt sich eines nicht übersehen: die Gewaltverherrlichung. Für das fünfte Gebot („Du sollst nicht töten“) ließen die Konfirmanden auf der „gottlosen“ Seite die Menschen in einer Arena gegeneinander antreten. „Man merkte schnell, wie die Konfis mitgerissen wurden. Sie riefen dann Dinge wie: Yeah, los, bring ihn um!“, sagt Ebinger.

Religion und Gewalt – auf den Spiele-Charts wird deutlich, dass keines der Spiele ohne eine dieser Komponenten auskommt. „‚Far Cry 5‘ vereint beides“, sagt Schneider und deutet auf Platz 5 der Charts. „In dem Spiel geht es darum, eine christliche Sekte aus dem Mittleren Westen der USA abzuschlachten. Sie wendet heimtückische Methoden an, um Mitglieder zu gewinnen, macht leere Versprechungen und erklärt, dass alle Probleme geheilt würden, wenn man konvertiert. In fast jedem Spiel seien christliche Symbole vorhanden, aber eine Brücke zur wirklichen Religion werde nicht geschlagen. „Wenn die Kirche sich auf dem Spielemarkt etablieren könnte, könnte sie zeigen, dass es bei uns vor allem um Nächstenliebe und Gemeinschaft geht“, betont Schneider.

Trailer Far Cry 5

Durch die Wiedergabe dieses Videos speichert YouTube möglicherweise persönliche Daten wie Ihre IP-Adresse.

Dieser Gedanke fasst nun in der Württembergischen Landeskirche Fuß. So unterstützt sie die Entwicklung des Computerspiels „ONE of the 500“. Spielerinnen und Spieler werden in die Lebenszeit Jesu versetzt. Sie müssen eigene Aufgaben bewältigen und sich mit Wertevorstellungen auseinandersetzen, um einen Platz in der Gesellschaft zu finden. Während des Spiels kreuzen sich die Wege der Figur immer wieder mit Ereignissen des Evangeliums. „So kann jeder spielend entdecken, wer Gott ist“, sagt der Hauptentwickler des Spiels, Amin Josua.

Ausschnitt aus ONE of the 500Amin Josua

Ein Spiel, in dem es vor allem darum geht, moralische Entscheidungen zu treffen. Spricht das die Game-Community überhaupt an? „Aber ja! Das beste Beispiel für dieses Modell ist ‚Detroit: Become Human‘“, sagt Schneider. In dem Spiel geht es um eine Art Roboter, der im Laufe des Spiels immer menschlicher wird und ständig mit moralischen Entscheidungen konfrontiert ist. „Das Spiel belegt Platz 1 der Charts. Ich würde es Ihnen gern zeigen, aber wie Sie sehen, ist es ausverkauft“, sagt Schneider und deutet auf das leere Regal.


Mehr News

  • Datum: 29.06.2024

    Sommertagung der Landessynode beendet

    Am Abend des 29. Juni ist die Sommertagung der Landessynode zu Ende gegangen. Am Samstag standen die Schöpfungsleitlinien, das Missionsverständnis sowie landeskirchliche Finanzen auf der Tagesordnung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 29.06.2024

    Das Vaterunser in den Landessprachen zur EM

    Als Gastgeberland heißen wir die Fans bei uns herzlich willkommen. Und was verbindet neben der Leidenschaft für den Fußball mehr als ein gemeinsames Gebet? Dafür haben wir das Vaterunser in den jeweiligen Landessprachen der Mannschaften im Achtelfinale zusammengestellt.

    Mehr erfahren
  • Datum: 29.06.2024

    TV-Tipp: Geiz bei Lebensmitteln? Bauern unter Druck

    Regionale Lebensmittel, am besten noch in Bio-Qualität? Gerne, aber sie dürfen nicht viel kosten. So denken viele Konsumenten in Deutschland. Ein Problem für die landwirtschaftlichen Erzeuger. Darüber spricht Alpha & Omega“-Moderatorin Heidrun Lieb mit ihren Gästen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.06.2024

    Kein Platz für menschenverachtende Haltungen

    Landesbischof Gohl sprach am Freitag vor der Synode in seinem Bischofsbericht über die tiefgreifenden Veränderungen und Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft. Die Synodalen debattierten in der Aktuellen Stunde über Vielfalt in Kirche, Fußball und Gesellschaft.

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.06.2024

    Landesbischof: „Kirche im Umbau“

    Landesbischof Gohl sprach vor der Synode über Veränderungen und Herausforderungen in Kirche und Gesellschaft. Weitere Themen: Der Ukraine-Krieg, die ForuM-Studie, der Nahost-Konflikt, das Anwachsen der politischen Rechten und die Diskussion über die Reform des §218.

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.06.2024

    Sommertagung der Landessynode

    Am 28. und 29. Juni tagt die Landessynode zu Themen wie Mission, Schöpfung, Haushalt und Verwaltungsreform. Landesbischof Gohl gibt einen ausführlichen Bericht. Hier finden Sie den Livestream, viele Berichte und alle Dokumente zur Tagung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 28.06.2024

    Video: Nachdenken über Gottesbegegnung

    Wie begegnet man Gott? Geht das überhaupt? Muss man dafür besonders fromm sein? Darüber denkt in diesem Video Mario Steinheil nach, Kirchengemeinderat in Eltingen und Mitarbeiter der landeskirchlichen Pressestelle.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.06.2024

    Herzensanliegen: Sprachfähigkeit im Glauben

    Wie kann ich lernen und üben, über meine „Herzensanliegen“ zu sprechen? Im Trainingsprogramm Herzensanliegen werden unterschiedliche Lernmodule angeboten, um im Glauben sprachfähig zu werden.

    Mehr erfahren
  • Datum: 27.06.2024

    Erster Tag der Assistenz der Gemeindeleitung

    2022 wurde das neue Berufsbild Assistenz der Gemeindeleitung in der Landeskirche offiziell eingeführt. Der erste Tag der AGL diente der Fortbildung und Vernetzung untereinander. Es wurden Workshops und eine Info-Meile mit Fortbildungsmöglichkeiten angeboten.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.06.2024

    Freiwilligendienst in der KesselKirche

    Seraphine W. und Zoé W. leisten ihren Freiwilligendienst in der Stuttgarter KesselKirche, einer jungen landeskirchlichen Gemeinde. Miriam Hechler, Pfarrerin für Innovation und Neue Aufbrüche in der Landeskirche, hat mit ihnen über ihre Erfahrungen gesprochen.

    Mehr erfahren
  • Datum: 26.06.2024

    Erzähl mir vom Frieden

    Anlässlich der 44. Ökumenischen Friedensdekade werden alltägliche Geschichten vom Frieden gesammelt. Dazu sind Online-Veröffentlichungen, eine Sammlung und musikalische Lesungen in Planung.

    Mehr erfahren
  • Datum: 25.06.2024

    Fußballfans mit christlicher Botschaft

    Die Mitglieder des OFC Königskinder verbinden ihre Leidenschaft für den VFB mit der Freude am Glauben. Wir haben den Vorsitzenden Pfarrer Thimotheus Rölle gefragt, wie er auf die Idee kam, einen christlichen Fanclub zu gründen und wie er Fußball-Gottesdienste feiert.

    Mehr erfahren
Mehr laden