| Kirchenjahr

Was ist Reformation heute?

Dr. Christiane Kohler-Weiß, Beauftragte für das Reformationsjubiläum 2017, zum Reformationstag

Dr. Christiane Kohler-Weiß ist Beauftragte für das Reformationsjubiläum.EMH

Bei den Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum 2017 werde ich immer wieder mit der Erwartung konfrontiert, die Erinnerung an die Reformation vor 500 Jahren müsse doch zu einer Reform der Kirche heute führen. Schließlich bedeute Reformation doch „Erneuerung“.

Das ist verständlich, aber die Veränderungsimpulse der Theologie des 16. Jahrhunderts können nicht so einfach in die Gegenwart verpflanzt werden. Sie waren deshalb erfolgreich, weil sie auf einen bestimmten kirchlichen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Kontext trafen. Frühere Reformbewegungen haben den Boden bereitet, der Humanismus und die Renaissance haben ein geeignetes geistiges Klima geschaffen, und die politischen Verhältnisse im Deutschen Reich waren im Umbruch. Luther war zur rechten Zeit am rechten Ort, nämlich in Wittenberg, wo andere große Geister mit ihm zusammenarbeiteten – Melanchthon, Cranach, Bugenhagen – und wo ein mächtiger Kurfürst, Friedrich der Weise, schützend seine Hand über ihn hielt. Für eine Reformation braucht es nicht nur die geistlichen Impulse und den entschiedenen Reformwillen eines Reformators, sondern auch das richtige geistige Klima, zahlreiche Mitstreiter und Mitstreiterinnen, günstige politische Verhältnisse und nicht zuletzt den Geist Gottes. Reformation ist nicht machbar. Der Thesenanschlag am 31.10.1517 wurde zum Auslöser der Ereignisse, die wir heute „Reformation“ nennen, weil er zum richtigen Zeitpunkt geschah. „Kairos“ nennt das die Theologie. Wiederholbar sind solche dynamischen Prozesse nicht.

Aus christlicher Sicht geht es darum, dass wir unser Handeln daran ausrichten, was unserem Nächsten nötig ist.

Dr. Christiane Kohler-Weiß

Und trotzdem ist es nicht sinnlos, an die Anfänge der Reformation zu erinnern und sich mit den Kernthemen der Reformation zu beschäftigen. Viele kirchenleitende Gremien führen derzeit Klausurtagungen oder Studientage zu reformatorischen Themen durch und machen dabei die Erfahrung, dass sie dadurch größere Klarheit über ihre eigene Identität gewinnen. Sie entdecken geistliche Schätze ihrer eigenen Tradition neu, z. B. das „Priestertum aller Getauften“, das Abendmahl, das Gebet, den Gemeindegesang, die christliche Freiheit oder den Zusammenhang von Glauben und Liebe. Sie werden zu den Grundlagen unseres Glaubens geführt, zu Jesus Christus und zur Bibel. Auch was „die Evangelischen“ von anderen Konfessionen unterscheidet – und wie viel sie heute verbindet – wird dadurch klarer.

All dies könnte den Gemeinden helfen, sich in ihrer Gemeindearbeit mehr auf Wesentliches zu konzentrieren. Und es könnte helfen, die wichtigen diakonischen Aufgaben, die die Gemeinden derzeit zu bewältigen haben, insbesondere bei der Aufnahme von Flüchtlingen, auf ein geistliches Fundament zu stellen. Hier geht es nicht nur um eine „Willkommenskultur“ und um eine gesellschaftliche Integrationsaufgabe, sondern aus christlicher Sicht geht es darum, dass wir unser Handeln daran ausrichten, was unserem Nächsten nötig ist. Und das können wir, weil Gott uns mit Gutem im Überfluss versorgt und weil der Glaube zur Liebe befreit. Luther beschreibt diesen Zusammenhang von Glauben und Liebe in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ in Abschnitt 27 folgendermaßen: „Siehe, so fließen aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott, und aus der Liebe ein freies, bereitwilliges, fröhliches Leben, um dem Nächsten umsonst zu dienen. Denn ebenso wie unser Nächster Not leidet und unseres Überflusses bedarf, so haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnade bedurft.“

Die Erinnerung an die umstürzenden Ereignisse vor 500 Jahren kann uns auch ermutigen, weniger Angst vor Veränderungen zu haben, weder in der Gesellschaft noch in unserer eigenen Kirche. Auch wenn eine Reformation wie vor 500 Jahren derzeit nicht in der Luft liegt: Die Theologie der Reformatoren stellt Fragen, die auch heute noch eine verändernde Kraft haben, und sie gibt Antworten, die auch heute noch tröstlich sind. Fragen wie die, welche Luther im Großen Katechismus in der Auslegung zum 1. Gebot stellt: Woran hängst du dein Herz? Was ist dein Gott? Worauf vertraust du? Auf Geld und Gut, eigene Klugheit, Macht, Beziehungen, Ansehen oder auf den einen Gott? Diesen Fragen kann man sich persönlich und als Kirche nicht oft genug stellen und den glaubensgewissen Trost, den Luther spendet, nicht oft genug hören. Er erfuhr und beschreibt Gott als den, „der uns gibt Leib, Leben, Essen, Trinken, Nahrung, Gesundheit, Schutz, Friede und alle Notdurft zeitlicher und ewiger Güter, dazu bewahrt vor Unglück und, so etwas widerfährt, rettet und aushilft; also dass Gott (wie genug gesagt) allein der ist, von dem man alles Gute empfängt und alles Unglücks los wird.“

Eine evangelische Kirche, die aus diesem Vertrauen lebt, ist zur Erneuerung fähig und kann sich Veränderungen stellen. Das ist noch keine neue Reformation, aber schon sehr viel. Reformation heute kann wie vor 500 Jahren nur durch den Glauben angestoßen werden. Der sucht sich dann zeitgemäße Formen – und bewirkt, wenn der „Kairos“ gekommen ist, möglicherweise auch Reformen.


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