| Diakonie

Ein Wohnzimmer gegen die Kälte

Die Wärmestube der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (eva)

Die Lebensmittelpreise steigen, Gas und Strom werden immer teurer. Kommen in diesem Winter mehr Menschen als sonst in die diakonischen Einrichtungen, um sich aufzuwärmen und ein warmes Essen zu erhalten? Besuch in der „Wärmestube“, einer Tagesstätte der Evangelischen Gesellschaft (eva) für Obdachlose und Menschen in Armut.

Birgit Auer leitet unter anderem die Arbeit der Wärmestube.Bild: Marie-Luise Schächtele

In der „Wärmestube“ in der Stuttgarter Innenstadt sind die Tische mit Tannenzweigen, Tannenzapfen und Christbaumkugeln geschmückt. In diesem Advent ist es draußen besonders kalt. Doch hier drinnen können sich die Menschen aufwärmen. 

Viele der Gäste trinken Tee und lesen Zeitung, ein Mann ist um die 40, die meisten Männer und Frauen sind über 65 Jahre alt. Hier sind sie willkommen, können Bekannte treffen, erleben Gemütlichkeit und die Betriebsamkeit des Alltags. Regelmäßig geht die Tür auf und neue Gäste kommen, oder Männer und Frauen verabschieden sich.

Um festzustellen, dass das Leben teurer geworden ist, brauchen die Gäste keine Zeitung aufzuschlagen. Seine Miete sei um 35 Prozent gestiegen, erzählt ein 60-Jähriger. Er will anonym bleiben. Er stecke zwischen Arbeitsteilzeit und Rente, mache sich Sorgen, wie er mit seiner Rente auskommen werde, erzählt er. Im Moment halte er sich aber vor allem hier auf, um Struktur in seinen Tag zu bringen. Er trinkt Tee und isst einen Joghurt. Nach einer schweren OP will er sich bewegen und unter Leute kommen. Seine Freunde und Bekannten arbeiten tagsüber. „Wo will man groß hin?“, fragt er. Im Restaurant könne man sich nicht lange aufhalten, wenn man mit dem Essen fertig sei.

Hier wird man gut aufgenommen

Linda, 83, Rentnerin, steuert zielstrebig auf den Tisch zu, an dem der Mann sitzt, setzt sich. „Ich komme wegen der Unterhaltungen gerne hierher“, sagt sie. Sie mag die Freundlichkeit, die Gespräche und dass man hier gut aufgenommen werde. Außerdem: „Hier kann man erschwinglich Kaffee trinken, und er schmeckt sehr gut. Woanders kann man sich das gar nicht mehr leisten.“

Die „Wärmestube“ sei ein Schutz vor der Kälte für Menschen, die in prekären Verhältnissen wohnen, erklärt Birgit Auer, Leiterin der Stuttgarter Stadtmission. „Oft leben die Gäste, die zur Stadtmission kommen, in schlecht isolierten Mietwohnungen. Um eine Raumtemperatur von 19 oder 20 Grad zu bekommen, müssen sie mehr heizen, also mehr Geld ausgeben.“

30 Prozent mehr Besucher

Zwischen 40 und 50 Personen, rund ein Drittel mehr Menschen als sonst, kommen seit rund vier Wochen in die „Wärmestube“. Vorher waren es nur rund 30.

Hier sei es warm, bestätigt Franz, 80, der sich mit an den Tisch setzt. Früher war er selbstständiger Hausmeister. Heute erhält er keine große Rente und ist nicht krankenversichert. Seine Miete in einer städtischen Wohnung ist niedrig, wurde aber deutlich erhöht. Er überlege sich zurzeit, wie viel er heize, sagt er. Schon vor den Preissteigerungen hat er nicht viel gegessen, außerdem kauft er in Discountern preiswert ein. Und er schaut auch manchmal, ob gute Lebensmittel in Mülltonnen weggeworfen werden und verwendet sie dann noch. Als kürzlich eine Nachbarin gestorben ist und zwei Lebensmittelkisten vor das Haus gestellt wurden, war das für ihn ein Glücksfall. „Wenn die Steigerung weitergeht, wird es hart“, sagt er.

Die „Thermoskammer“

Den Spitznamen „Thermoskammer“ haben Linda und Franz diesem Ort bereits gegeben, damit andere nicht erfahren, wohin sie gehen, erzählen sie. Die Einrichtung sei wie das „Wohnzimmer“ der Gäste, sagt Birgit Auer, die Leiterin der Stuttgarter Stadtmission.

Schon seit 13 Uhr, da gab es Mittagessen, sei pausenlos viel los. Auch zu „eva‘s Tisch“, einem Angebot mit preiswertem Mittagessen, kommen seit rund vier Wochen 95 Personen, vorher waren es 15 weniger.

Während Tee und Sprudel kostenlos sind, kostet Kaffee 50 Cent. Birgit Auer stellt fest, dass sich viele Gäste gerade keinen Kaffee mehr leisten.

Jede und jeder darf kommen

Es sei nicht einfach, zu differenzieren, was die Gründe für die steigenden Zahlen seien, sagt Auer. Sie erklärt: „Die Menschen möchten nicht so viel über ihre Armut sprechen.“ Die „Wärmestube“ ist eine niedrigschwellige Hilfe, die Menschen bei ihren Grundbedürfnissen unterstützt, ohne nach ihrer persönlichen Situation zu fragen. Durch „Nahrung, Körperhygiene und Sozialkontakte“, sagt Auer. „Jede und jeder darf kommen, ohne den Namen zu nennen.“

Aus Gesprächen mit den Gästen weiß sie: Vor allem Menschen, die von der Grundsicherung oder wenig mehr Geld leben, kommen hierher. Und auch Obdach- und Wohnungslose wärmen sich hier auf.

Um 17 Uhr gibt es Vesperbrote: zwei belegte Brötchen oder Sandwichs für 30 Cent. „Der Bedarf ist groß“, sagt Birgit Auer. Die Nachfrage ist von 23 Personen pro Tag auf 35 angewachsen.

Die meisten kommen regelmäßig

Es sei herausfordernd, wie viele Menschen das Angebot annehmen würden, sagt Auer. 70 Prozent der Gäste kommen regelmäßig, beinahe täglich. Manche Menschen halten sich die gesamte Zeit, von 13 bis 18 Uhr, in der „Wärmestube“ auf. Platz gibt es nicht viel, auch die Möglichkeiten, Menschen zu beraten, sind begrenzt.

In der „Wärmestube“ können die Gäste auch Wäsche waschen. Die Mitarbeitenden schalten zurzeit zweimal täglich die Maschine an. Die Nachfrage ist in den vergangenen zwei Monaten gestiegen. Auch das Angebot zu duschen nehmen mehr Menschen in Anspruch.

Die ehrenamtliche Mitarbeiterin Cindy, 30, hauptberuflich Schulbegleiterin, mag die Gemeinschaft in dem Hilfsangebot. Und da sie noch nicht lange dabei ist, helfen die Gäste ihr so manches Mal, wenn sie eine Frage hat. Doch deren Bedürftigkeit macht sie auch betroffen: „Manchmal macht es mich echt traurig, dass so viele Menschen in Deutschland vergessen werden und durchs System fallen, obwohl es hier eigentlich genug Ressourcen gibt“, sagt die Ehrenamtliche.

Auch Birgit Auer schätzt, wie fürsorglich viele Menschen sind. Ein Mann bringe immer wieder Lebensmittel oder Kleidung für andere mit. Doch auch sie berichtet, wie schwer es falle auszuhalten, wenn zum Beispiel die einzige Hilfe, die man leisten könne, ein Schlafsack sei.

Gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen

Die Aufgabe der Mitarbeitenden sei es, auf andere Hilfsangebote, etwa Beratungsstellen, Notübernachtungen und Kälteschutzräume, aufmerksam zu machen. Ihr Ziel ist es, Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen: „Die Menschen sollen alles machen können, was andere auch machen.“

Angesichts der drohenden Not in diesem Winter hält sie für entscheidend, dass bald die Vesperkirchen öffnen und sich sehr viele Menschen dort aufwärmen können. Auer sagt: „Irgendwie klappt das dann.“

Info

Die „Wärmestube“ ist ein Hilfsangebot der Evangelischen Gesellschaft (eva). Dort können sich Menschen aufhalten und gegen einen geringen Preis Snacks, ein Mittagessen und Vesperbrote erhalten. Darüber hinaus gibt es dort einen Singkreis, Gesprächsangebote und Beratung zur Prävention vor Armut, etwa zu Fragen wie „Wie gehe ich mit wenig Geld um?“.

Rund 70 Prozent der Menschen, die die niederschwelligen Hilfen der eva beziehen, sind Männer. Doch das liegt auch daran, dass es für Frauen spezifische Beratungsangebote und eine Tagesstätte gibt.

Die Nachnamen werden auf Wunsch der Personen und zu ihrem Schutz nicht veröffentlicht.


Schon gewusst?

elk-wue.de

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