Das Wort „inklusiv“ ist wenig hilfreich – darin sind sich Pfarrerin Sybille Leiß und Diakonin Bärbel Unrath einig. Elk-wue.de hat mit ihnen darüber gesprochen, wie man alle Menschen in die Gemeinschaft eines Gottesdienstes einladen kann. Dazu braucht es unter anderem eine bestimmte Haltung.
Was verstehen Sie unter inklusiven Gottesdiensten?
Pfarrerin Sybille Leiß: Ich betone nicht gerne, dass es sich bei einem Gottesdienst um einen inklusiven Gottesdienst handelt. Meiner Überzeugung nach sollte jeder Gottesdienst für unterschiedliche Zielgruppen die Möglichkeit bieten, daran teilzunehmen, diesen mitzufeiern. Am deutlichsten wird dies m.E. bei der gemeinsamen Feier des Abendmahls: alle sind eingeladen, man muss nicht eigens betonen, dass „auch“ z.B. Menschen mit Behinderung daran teilnehmen können. Denn: wenn Christus an seinen Tisch einlädt, dann sind alle gemeint, die sich einladen lassen, ohne Unterschied. Wichtig ist daher die konkrete Gestaltung des Gottesdienstes.
Diakonin Bärbel Unrath: Das Wort „inklusiv“ ist zwar gesellschaftlich etabliert für Zusammenhänge, in denen es um Menschen mit Behinderung geht. Aber: Viele fühlen sich dadurch ausgeschlossen – z.B. alle, die keine offensichtliche Behinderung haben. Wir nennen unsere Gottesdienste daher nicht so. Insgesamt kommt es mehr auf die Haltung an als auf das Format. Wir feiern Gottesdienste, die sich an viele unterschiedliche Menschen richten, unabhängig von der Frage nach einer Behinderung.
Worauf muss man dabei achten (besondere Elemente, Ausstattung, etc.)?
Pfarrerin Sybille Leiß: Bei der Gestaltung von Gottesdiensten, die von unterschiedlichen Zielgruppen besucht werden können und besucht werden, ist ein wesentliches Moment die Sprache: einfache, kurze und gut verständliche Sätze zu bilden. Die Herausforderung besteht darin, biblische Texte so zu vermitteln, dass sie mit der Lebenswirklichkeit von Zuhörerinnen und Zuhörern buchstäblich ins Gespräch kommen. Theologische Sachverhalte müssen daher so aufbereitet werden, dass die feiernde Gemeinde diese mit ihrer eigenen Lebenserfahrung in Verbindung bringen kann, davon buchstäblich berührt wird. Das ist zunächst homiletisch betrachtet nichts Besonderes, da dies für jeden Gottesdienst gelten sollte. Es ist gleichermaßen wichtig, darüber hinaus weitere Elemente anzubieten, die unsere Sinne ansprechen: Bilder, Musik, Greifbares und Spürbares. Sie müssen so ausgewählt werden, dass sie die Wortverkündigung unterstützen. Insgesamt muss der Gottesdienst gut verständlich sein, sowohl inhaltlich als auch akustisch, optisch und haptisch.
Diakonin Bärbel Unrath: Wir achten z.B. bei der Liedauswahl auf Lieder, deren Kehrvers leicht singbar ist. Gottesdienstbesuchende, die das nicht benötigen, merken das nicht. Aber wer nicht lesen kann, kann bei der zweiten Wiederholung schon mitsingen. Ein anderer Aspekt ist die Lautstärke. Die Sprache in der Liturgie allgemein ist theologisch komplex; für viele Menschen wirkt sie wie eine Fremdsprache. Wer nicht kirchlich sozialisiert ist, versteht sie oft nicht. Hier ist Teilhabe für alle wichtig, eine einfachere Sprache kann man üben: Statt Substantive Verben verwenden, die Emotionen, die Geschichte in einem Text betonen. Dennoch muss man darauf achten, dass man hier zu Erwachsenen spricht. Außerdem gibt es im Gottesdienst viele ungeschriebene Gesetze, die nicht alle kennen; hier kann es helfen, wenn man ausdrücklich sagt, aus welchem Buch jetzt ein Lied gesungen wird, und wo die Nummern dazu stehen. Mit Gesten oder wenigen Worten kann man darauf hinweisen, wenn die Gemeinde aufsteht. Es ist wichtig, dass sich alle Besuchenden eines Gottesdienstes orientieren können.
Wie kann die Gemeinde dazu beitragen, dass ein Gottesdienst inklusiv ist?
Pfarrerin Sybille Leiß: Eine Gemeinde kann dazu beitragen, indem sie ganz selbstverständlich gemeinsam in aller Verschiedenheit Gottesdienst feiert, ihre Türen öffnet und ehrlich, spürbar lebt: wir gehören zusammen. Sie braucht Toleranz für Verhalten, das möglicherweise von der sog. „Norm“ abweicht. Sie muss andererseits akzeptieren, dass dies auch Grenzen hat: wenn jemand z.B. während des Gottesdienstes anhaltend laut ist, die Aufmerksamkeit ganz auf sich zieht, dann kann auch ein Moment gekommen sein, bei dem sich jemand um diese Person kümmern muss, den Gottesdienst ggf. mit ihr oder ihm verlassen oder unterbrechen muss, damit die Gemeinde weiterfeiern kann.
Diakonin Bärbel Unrath: Die Frage ist: Wie gelingt ein Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, nicht nur mit Handicaps? Wie geht die Gemeinschaft damit um, dass jemand etwas anderes braucht als der Großteil? Und das betrifft mehr Menschen, als man zunächst denkt: So haben Menschen im Rollstuhl Probleme mit einer Treppe, aber auch viele ältere Gemeindemitglieder. Insgesamt ist Ziel, unterschiedliche Arten von Gottesdiensten zu feiern, in denen sich möglichst viele willkommen fühlen können.
Wie könnte man Gottesdienste dauerhaft inklusiv gestalten, oder wird das bereits gemacht?
Pfarrerin Sybille Leiß: Eine dauerhafte Gestaltung von Gottesdiensten für ganz unterschiedliche Zielgruppen ist aus meiner Sicht möglich, wenn man sich die oben beschriebenen Elemente zu eigen macht. Ich habe in vielen Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Rückmeldungen im Hinblick auf Verständlichkeit und Relevanz des Gesagten und Erlebten in Kirchengemeinden dann besonders intensiv sind, wenn ich Gottesdienste so gestalte, wie ich sie für die Gemeinde in Lichtenstern gestalte oder wie ich sie in der Diakonie Stetten gestaltet habe.
Diakonin Bärbel Unrath: Wir gestalten im Johannesforum regelmäßig Gottesdienste für und mit Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, z.B. Kirche Kunterbunt. Diese bereiten wir auch gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der Bruderhausdiakonie vor. Insgesamt haben wir haben – auch als Kirche – hier noch einen Weg vor uns. Wir müssen uns fragen, ob eine Behinderung, die Bildung, oder das Alter eines Menschen die Begegnung verhindern darf. „Barrierefrei“ bedeutet nicht nur, dass es eine Rollstuhlrampe gibt, sondern es geht um eine Barriere im Kopf. Die Gemeinschaft, die wir leben möchten, hat nichts mit einer Treppe oder anderen äußerlichen Gegebenheiten zu tun.
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