Stuttgart. Am 6. August 1945 warfen die USA eine Atombombe über Hiroshima, am 9. August 1945 über Nagasaki ab. Geschätzt starben über 140.000 Menschen bei den beiden Angriffen, Tausende an den Folgen. 75 Jahre danach erinnert das Gedenken an die vielen Opfer, aber auch daran, wie aktuell das Ereignis für unsere Bemühungen zum Frieden heute ist.
Am 6. August 2020 wird vor der Tübinger Stiftskirche geschwiegen: Um 12 Uhr beginnt die Schweigeminute, mit der der Opfer von Hiroshima gedacht wird. Eine Gruppe der Friedensbewegung, die in Tübingen wöchentlich eine Friedens-Mahnwache hält, würdigt den 6. August jedes Jahr auf diese Weise besonders. Zusammen mit Japanerinnen und Japanern betet sie still für Überlebende und Verstorbene des Atombombenabwurfs über Hiroshima.
„Wir finden es wichtig, dass Japaner dabei sind, sie müssen sichtbar werden, sagt eine Teilnehmerin (Name der Redaktion bekannt), die mit einem Japaner verheiratet ist. Das Ehepaar schloss sich dafür schon in den 1980er Jahren der örtlichen Friedensgruppe an. Seitdem steht am 6. August immer ein Tisch vor der Stiftskirche, es werden Kraniche gefaltet. Diese Kraniche, in Japan ein altes Symbol für Heilung und Frieden, verteilt die Gruppe an Passanten. Kinder dürfen sie mit Luftballons und einem Gruß auf die Reise schicken. 2020 gibt es wegen der Corona-Pandemie weder Kraniche noch Luftballons, aber das Gedenken mit Schweigeminute und Gebet bleibt.
„Hiroshima und Nagasaki mahnen uns bis heute, nicht nachzulassen im Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit. Das furchtbare Geschehen ist bis heute ein Brandmal in der westlichen Zivilisation“, sagt Landesbischof Dr. h. c. Frank Otfried July anlässlich des 75. Jahrestags des Abwurfs der Atombombe über Hiroshima.
Für Naoko Bürkle von der Japanischen Evangelischen Gemeinde Stuttgart e. V. ist der 6. August mit dem Gedenken an ihren verstorbenen Onkel verbunden, der einer der wenigen Überlebenden in Hiroshima war. Er wurde über 80 Jahre alt, und sorgte sich sein Leben lang, dass sich bei seinen Kindern Spätfolgen zeigen könnten. Worte für das, was er erlebt hatte, fand er nicht. „Er wollte nicht darüber sprechen", erinnert sich seine Nichte. Die Japanische Gemeinde Stuttgart gedenkt am 8. August, beim ersten Treffen nach Ausbruch der Pandemie, der Opfer der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki.
Pfarrer Joachim Schilling, Beauftragter für Friedensarbeit in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, weist darauf hin, wie aktuell das Thema immer noch und gerade heute ist. „Wir in der kirchlichen Friedensarbeit setzen uns dafür ein, dass Deutschland endlich dem Atomwaffenverbotsvertrag der UN beitritt“, sagt Joachim Schilling. Zusammen mit anderen Akteuren der Friedensarbeit setzt er sich dafür ein, dass die Landeskirche ebenso Position bezieht, wie sie es 2017 zum Thema Waffenhandel getan hat, und wie sie z. B. inzwischen die Aktion „Aufschrei! Stoppt den Waffenhandel“ unterstützt.
Im Hinblick auf die Sicherheit der Region ist er dankbar für den von der US-Regierung angekündigten Abzug der Eucom-Kommandozentrale von Stuttgart nach Belgien: „In einem Stellvertreterkrieg wäre Stuttgart ein primäres Angriffsziel“, ist er sich sicher.
Kein Krieg, kein Beendenwollen eines Konflikts dürfe sich solch schrecklicher Waffen bedienen, erklärt Landesbischof July: „Mit der Atombombe war der nicht mehr einholbare Schrecken in die Welt gesetzt. Deshalb hat das Wort Jesu so große Aktualität: ‚Selig sind die Friedensstifter‘ – das ist ein Auftrag für jede und jeden von uns."
Judith Hammer